
Vorbemerkung
Das Projekt „Auf den Spuren der Opfer des Nationalsozialismus“ wurde mit 21 Schülern und Schülerinnen vom 20.Juni bis 24. Juni 2022 im Rahmen unserer Projektwoche der Bugenhagenschuledurchgeführt.
Ursprünglich hatte unsere Historikerin und Fachkollegin, Antanina Chumakova, die Projektidee „Das jüdische Leben in Hamburg“ zum Hauptthema zu machen. Als die beiden Kollegen, Udo Engelhard (Sozialpädagoge und IT-Lehrer) und ihr Fachkollege Kay Schröder ihre Mitarbeit anboten, wurde das Projekt erweitert und zum wählbaren Projektwochenthema „Auf den Spuren der Opfer des Nationalsozialismus“ ergänzt.
Basierend auf einer Projektkurzbeschreibung haben sich 21 Schüler*innen für dieses spannende und immer noch wichtige und aktuelle Thema entschieden. Als Ziel haben wir uns vorgenommen, dass sich die Schüler*innenaktiv mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen und zur Erinnerungskultur an die NS-Opfer beitragen.
- Projekttag
9: Uhr: Treffen im Klassenraum Obergeschoss Neubau.
Nachdem sich die Schüler*innen aus den Jahrgängen 8 bis11 vorgestellt hatten, wurde deutlich, dass die meisten Schüler*innen das Projekt mit offenem Interesse angehen wollten. Das Projektteam stellte im Anschluss die Planung der Woche vor und Frau Chumakova erzählte detail- und kenntnisreich das Besondere des Grindelviertels als historischem Ort der jüdischen Bevölkerung vor der Deportation. Am Mittag sollten wir dann einen Nachfahren als Zeitzeugen treffen, der uns das Besondere des Viertels und seine persönliche Geschichte bei einem Rundgang vorstellte. Zu Fuß und mit der S- und U-Bahn haben wir dann Michael Rosenberg an der U-Bahn-Station Hallerstrasse getroffen, wo auch der Rundgang startete. Hier hat Herr Rosenberg als Kind und Jugendlicher gelebt und hier hat er seine jüdische Mutter als Siebenjähriger „verloren“. Das alles und das Leben im Viertel hat er uns gezeigt und verdeutlicht. Besonders emotional war seine persönliche Geschichte mit dem Abtransport seiner Mutter, die er uns vor seinem Elternhaus erzählte. Auch Auszüge aus Originalbriefen seiner Mutter wurden verlesen. Das erste Mal fielen uns die zahlreichen aus Messing hergestellten „Stolpersteine“ mit den Inschriften der jüdischen Hausbewohner, deren Abtransportdatum und Ermordungsdatum auf.
Bei einer Kugel Eis, zu der uns Herr Rosenberg einlud, haben wir noch viel über das Viertel, den angekündigten Wiederaufbau der Synagoge und seine persönliche Sichtweise zum Leben als mittlerweile 88-jähriger Mann gesprochen.
Projekttagende war das 15:00 Uhr
- Projekttag
9: Uhr: Treffen im Klassenraum Obergeschoss Neubau
An diesem Tag sind wir zum Gedenkort „Denkmal Hannoverscher Bahnhof“, Lohseplatz in der Hafen-City gefahren. In den Jahren 1940 bis 1945 wurde der Bahnhof zum zentralen Deportationsbahnhof. Von hier aus wurden ca. 8000 Hamburger Juden,Sinti und Roma in Ghettos und Konzentrationslager in Osteuropa deportiert. Auch Michaels Mutter, Irmgard Posner und ihr Mann Karl Posner wurden von hier aus nach Minsk, Hauptstadt von Belarus, abtransportiert und dort ermordet.
Vor Ort wurden die Schüler*innen von AntaninaChumakovain die Geschichte und Funktion des Bahnhofs eingeführt. Da Minsk auch gleichzeitig der Geburtsort von Frau Chumakova ist, wurden die Deportation, die Ankunft und dieLebensbedingungen im Minsker Ghetto bis zur Ermordung thematisiert. Dafürwurden den Schüler*innen die Erinnerungen von Heinz Rosenberg dargestellt, der als einziger Überlebender Hamburger Jude seine Erlebnisse in dem Buch „Jahre der Schrecken“ schildert.
Eine der Fragen, die die Schüler besonders stark beschäftigt, ist, aus welchem Grund die NS-Verantwortlichen die Menschen nach Osteuropa deportieren?
Anschließend hatten die Schüler*innen die Möglichkeit den historischen Bahnsteig 2 und die 20 Namenstafeln, die an die deportierten Frauen, Männer und Kinder erinnern, anzuschauen und sich durch die Ausstellung zu den Deportationen im Info-Pavillon über die historisch-politischen Hintergründe zu informieren.
Der Nachmittag stand den Schüler*innen dann zur Verfügung, selbstständig einen „Stolperstein“ aufzusuchen, diesen zu fotografieren und die „Geschichte“ dahinter mittels bekannter Webseitenzu recherchieren. Ziel war es, die Schüler*innen zur eigenen Recherche über die Schicksale der NS-Opfer anzuregen und somit zur Erinnerung an sie beizutragen.
(Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des National-sozialismus [NS-Zeit] verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oderin den Suizid getrieben wurden.)
Projekttagende war15:00 Uhr
3. Projekttag
9: Uhr: Treffen im Klassenraum Obergeschoss Neubau
An diesem Tagsind wir auf dem Gelände unserer Schule und der Stiftung Alsterdorf geblieben. Wir konnten den Referenten und geschichtlichen Kenner der „Alsterdorfer Anstalten“ (so hieß unsere Stiftung im Nationalsozialismus), Dr. Michael Wunder, gewinnen.
Ein Highlight war die Führung in unserergerade umgebauten St-Nikolaus-Kirche und dem dazugehörigen neu entstandenen Mahnmal zur Geschichte der Alsterdorfer Anstalten vor und währen der NS-Zeit und zum unrühmlichen und menschenverachtenden Verhalten der Verantwortlichen mit den ihnen anvertrauten Bewohnern. Dieser eindrucksvoll gestaltete Gedenkort wurde erst vor wenigen Tagen freigegen. Durch die vielen Stufen-losen Zugänge und Infos in Bild, Ton und über QR-Code werden hier wirklich alle Besucher angesprochen.
Zentral dabei ist das bis dahin verhängte und nun zum Lernort umgestaltete Altarbild. So wurde uns deutlich, dass wir an historischen Orten wie diesem lernen, wie wichtig es ist, eine Erinnerungskultur zu schaffen. Bei diesem Denkmal für die Euthanasie-Opfer aus der ideologisch geprägten NS-Zeit, in der sich Menschen überhöhten und andere bis zur Tötung ausgrenzten.
Projekttagende war14:00 Uhr
Info:
Altarbild im Zentrum des Lernortes
Im Zentrum des Lernortes steht ein 12 Meter hohes und 58 Tonnen schweres Altarbild, das im Frühjahr 2021 aus der St. Nicolaus-Kirche herausgesägt wurde und nun neben der restaurierten Kirche steht. Das Wandbild stammt aus dem Jahr 1938 und zeigt den gekreuzigten Jesus umgeben von zwölf Menschen mit Heiligenschein und drei offenbar behinderten Menschen ohne Heiligenschein. Gedeutet wird das Bild so, dass behinderte Menschen keine direkte Nähe zu Gott haben, sondern dafür Helferinnen und Helfer benötigen. Der Anblick des Bildes sei für viele Bewohnerinnen und Bewohner „unerträglich“ gewesen, erklärte die Stiftung. Auf der Rückseite der Wand sind die Namen der 513 Bewohnerinnen und Bewohnern eingraviert, die während der NS-Zeit ermordet wurden.
4. Projekttag
9: Uhr: Treffen im Klassenraum Obergeschoss Neubau
An diesem Tag ging es darum, weiter den „Spuren“ von NS-Opfer nachzufolgen und etwas „Gutes tun“.
Einige Schüler*innenbeschäftigten sich mit „ihren“Stolpersteinen“,andere arbeiteten konzentriert am Online-Projekt „Every Name County“. Das Arolsen-Archive ermöglichtdie Mitarbeit bei der Digitalisierung der vielen Millionen Dokumente aus den KZs und Lagern, um so möglichst vielen „Opfern wieder einen Namen zu geben“ und den Hinterbliebenen die Möglichkeit, mehr über den Verbleib ihrer Vorfahren zu erfahren. Die Schüler*innen haben dabei viel über die Symbole der Ausgrenzung und Haft-und Lagerbedingungen erfahren, in dem die Originalquellen digitalisiert wurden.
In der Diskussion im Anschluss an die Mitwirkung bei #everynamecounts haben die Schüler*innen von ihren Erfahrungenberichtet – was war neu (?), welche Dokumente fanden sie besonders interessant, eindrucksvoll oder bewegend (?), von wo kamen die Verfolgten und wohin wurden sie deportiert? Schrittweise entstand im Zusammenhang mit den vorherigen Tagenein größeres Bild der Dimensionen der nationalsozialistischen Verfolgung. Ein Bild von Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters, mit verschiedene Inhaftierungsursachen undVerfolgungskontexten und verschiedenen Inhaftierungsorten.
Erstaunlich, wie viele digitale Dokumente erstellt wurden, bei einer Klassenraum-temperatur um die 33 °C.
Projekttagende war15:00 Uhr
- Projekttag -Abschlusstag
9: Uhr: Treffen im Klassenraum Obergeschoss Neubau.
Am letzten Projekttag stand das Projektfeedback im Vordergrund. Anhand von Leitfragen zum Projektverlauf, der emotionalen Situation, aber auch die Frage nach Verbesserungsvorschlägen erstellten die Schüler*innen alleine oder in Kleingruppen ihr Feedback, das sie abschließend der Projektgruppe anhand angepinnter Kärtchen vorstellten. Allen gemeinsam ist der Wunsch, zukünftig auch den Gedenkort „KZ-Neuengamme“ mit ein die Planung für so ein Projekt einzubeziehen. Auch das Feedback von uns Pädagog*innenist positiv. Die Mitarbeit der meisten Schüler und Schülerinnenwar interessiert und engagiert.
Um 11:00 Uhr war dann das letzte Highlight der Woche: Das Theaterstück „Wir schweigen nicht“, das sich mit demNS-Widerstand und dem Leben von Sophie Scholl beschäftigt. 30 Schüler*innen unseres Oberstufen-Jahrgangs 12 haben zunächst die Geschichte von Sophie Scholl mit ganz vielen bekannten und weniger bekannten Facetten recherchiert, dann zusammen mit der Lehrerin und Theaterpädagogin Corinna Honold geschrieben und zur Aufführung gebracht. Alles wurde selbst entwickelt und umgesetzt – so auch die Fotos zur Veranstaltung und die Plakatumsetzung in Zusammenarbeit mit dem IT-Kurs der Schule (siehe Plakat).
So wurde auch für unsere Projektgruppe nochmals deutlich, dass es nicht nur Täter und Opfer im NS-Reich gab, sondern (unter lebensbedrohlichen Bedingungen)auch Menschen, die Widerstand leisteten. Widerstand, den wir bei unserer Spurensuche zu den NS-Opfern sehr oft vermisst hatten.
Projektende war 13:00 Uhr
Das Projektteam
AntaninaChumakova; Udo Engelhard; Kay Schröder